Lothar Müller: „Herman Bang“
Herman Bang ist einer der besten dänischen Schriftsteller. Lothar Müller bietet mit seiner sehr schön gestalteten Bild-Biographie ”Herman Bang” einen guten Einstieg in das Leben und Werk dieses außerhalb Dänemarks viel zu wenig bekannten Dichters.
”Wenn es gerecht zugehen würde, wäre der Schriftsteller Herman Bang (1857-1912) nicht bloß in Dänemark ein großer Name, sondern ein literarischer Weltname”, schreibt Sven Hakon Rossel, Professor für Skandinavistik an der Uni Wien, aus Anlass des 100. Todestages von Herman Bang in der dänischen Tageszeitung Berlingske. Ein Satz, dem ich unbedingt zustimme. Ich halte Herman Bang für einen der bedeutendsten dänischen Schriftsteller und teile Sven Hakon Rossels Vermutung, dass er heute international viel bekannter wäre, wenn er in einer verbreiteren Sprache geschrieben hätte. Zu Lebzeiten war er zumindest in Europa recht bekannt – Thomas Mann war ein großer Fan –, weil er wie Hans Christian Andersen viel auf Reisen war; der wirkliche Durchbruch ist ihm aber immer verwehrt geblieben.
Dänischer Oscar Wilde
Herman Bang war so etwas wie der dänische Oscar Wilde: Wie Wilde stilisierte er sich als Dandy, war wegen seines extravaganten Auftretens beliebtes Ziel von Spott und Häme und wurde wegen seiner Homosexualität verfolgt. Und wie Wilde war Bang dem Theater verfallen: Seine zahlreichen Versuche, als Schauspieler oder Dramatiker erfolgreich zu sein, scheiterten allesamt; als Regisseur, Intendant und Theaterkritiker hat er sich allerdings einen Namen gemacht. Besonders bekannt war er zu Lebzeiten als Journalist; seine zahlreichen Artikel über das gesellschaftliche und künstlerische Leben nicht nur in Kopenhagen sind noch heute lesenswert.
Guter Einstieg in Herman Bangs Welt
Im Zentrum von Herman Bangs herausragendem Werk stehen allerdings seine Romane und Erzählungen wie ”Stuk” (1887) oder ”Tine” (1889). Glücklicherweise gibt es immer wieder deutsche Verlage, die (Neu-)Übersetzungen von Herman Bangs Werken herausbringen, obwohl das Publikum dafür in Deutschland leider überschaubar ist. Umso schöner ist es, dass der Deutsche Kunstverlag in seiner aufwendig gestalteten Reihe mit Bild-Biographien über berühmte Autoren auch eine Monographie über Herman Bang herausgebracht hat. Es finden sich darin viele Bilder aus Herman Bangs Leben, die man als deutscher Leser ansonsten wohl kaum zu Gesicht bekommen würde. Der Text stammt von Lothar Müller, Redakteur im Literaturteil der Süddeutschen Zeitung. Lothar Müller erzählt Herman Bangs anrührende, oft tragische und immer spannende Lebensgeschichte auf weniger als 90 Seiten und verschafft dem deutschen Leser damit einen ersten Einblick in Herman Bangs Welt.
Ich selbst habe vor kurzem die vierbändige Biographie von Harry Jacobsen gelesen (aus den 1950er und 60er Jahren, aber immer noch Standardwerk in Dänemark) und darum nichts Neues erfahren, aber einem deutschen Leser bietet Lothar Müller einen guten Einstieg in Herman Bangs Leben und Werk.
Tipp: ”Am Weg”
Mein Tipp für alle, die noch nie etwas von Herman Bang gelesen haben, ist, mit der Erzählung ”Am Weg” (”Ved Vejen”, 1886) zu beginnen, eine der schönsten Erzählungen, die ich kenne. Bang erzählt darin die Geschichte von Katinka Bai, deren Leben in einer trostlosen Ehe mit einem Bahnhofsvorsteher vergeht – bis sie sich in einen anderen Mann verliebt …
”Am Weg” ist sogar in mehreren deutschen Übersetzungen erhältlich, zum Beispiel in der von Aldo Keel im Manesse Verlag.
Die Bild-Biographie ”Herman Bang” von Lothar Müller ist 2011 im Deutschen Kunstverlag erschienen.
5. Juni 2012