Helle Helle: „Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann“
Helle Helle ist eine der besten dänischen Schriftstellerinnen. Ihr gerade auf Deutsch erschienener Roman „Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann“ bietet einen wunderbaren Einstieg in ihr Werk.
„Forestillingen om et ukompliceret liv med en mand“ war der erste Roman überhaupt, den ich auf Dänisch gelesen habe, – als Lektüre in meinem Dänisch-Kurs an der Uni Göttingen. Nachdem ich hier im letzten Monat Helle Helle (*1965) vorgestellt hatte, habe ich „Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann“ von 2002 erneut auf Dänisch gelesen. Wer kein Dänisch kann, hat endlich die Möglichkeit, Helle Helle auf Deutsch zu entdecken, denn der Schweizer Dörlemann Verlag bringt Helle Helles Romane nach und nach in den Übersetzungen von Flora Fink heraus. 2010 ist „Rødby – Puttgarden“ auf Deutsch erschienen, in diesem Jahr „Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann“ – ein guter Einstieg ins Werk von Helle Helle.
Dänische Glücksformel
Die Dänen werden in verschiedenen (mehr oder weniger wissenschaftlichen) Untersuchungen regelmäßig zum glücklichsten Volk der Welt gekürt. Eine Theorie besagt, dass das damit zusammenhängen könnte, dass sie nicht allzu viel vom Leben erwarten, denn: Wer sich keine hohen Ziele steckt, scheitert weniger häufig. Liest man die Bücher von Helle Helle, lässt sich diese Theorie nicht ganz von der Hand weisen; ihre Romane und Erzählungen sind bevölkert von Figuren, die wenig bis gar nichts vom Leben erwarten und am glücklichsten sind, wenn sie ungestört in den Tag hineinleben dürfen.
So auch Susanne, Hauptfigur in „Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann“: Sie arbeitet als Putzfrau in einem Krankenhaus – und ist zufrieden damit; der Ehrgeiz, Karriereleitern zu erklimmen, geht ihr ab. Als ihr angeboten wird, als Ausbilderin neues Personal einzuarbeiten, lehnt sie diese Beförderung ohne Begründung ab. Ebenfalls ohne erkenntliche Motivation kündigt sie irgendwann ihren Job und fängt hauptberuflich als Putzfrau zu arbeiten an, was ihr noch mehr liegt als die Tätigkeit in der Krankenhausküche, weil sie nun wenigstens nicht mehr so vielen anderen Menschen begegnet.
Das Wie, nicht das Was steht im Vordergrund
Auch Susannes Privatleben kann kaum als aufregend bezeichnet werden. Sie ist zusammen mit Kim, einem Schriftsteller, der seit Jahren an seinem ersten Buch arbeitet und Tag für Tag rauchend in der Wohnung der beiden verbringt, um an seinem „großen Wurf“ zu arbeiten. Wie die beiden zusammengekommen sind, warum sie überhaupt zusammen sind, wird nicht erzählt. Besonders glücklich aber scheinen sie nicht miteinander zu sein. Das freilich wird nicht direkt erzählt, sondern am eindrücklichsten durch eine Phantasie bestätigt, die in Susannes Kopf herumschwirrt: die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann aus ihrer Vergangenheit, Kindern, einer Arbeit, vielen Freunden. Doch diese Vorstellung hat einen Haken: Am Ende ist Suanne immer todunglücklich, weil sie so viel Glück schlicht nicht aushalten kann …
Die dänische Zeitung Kristeligt Dagblad nennt Helle Helles Roman eine „äußerst faszinierende Schilderung des durchschnittlichen Lebens, das keine Spur durchschnittlich ist“. Besser könnte man nicht auf den Punkt bringen, worum es in Helle Helles Romanen geht. Sie beweist mit ihrer reduzierten, sehr genauen Sprache auf angenehm unaufdringliche, ja bescheidene Weise, dass es bei wirklich guten Büchern selten darauf ankommt, was, als vielmehr wie es erzählt wird.
„Forestilingen om et ukompliceret liv med en mand“ ist 2002 im Samleren Verlag erschienen. Ich habe den Roman im Original gelesen, die deutsche Übersetzung von Flora Fink ist im März 2012 unter dem Titel „Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann“ im Dörlemann Verlag erschienen.
2. Juli 2012